Interview mit Claude Haagen im Telecran

"Lebensmittelversorgung ist gesichert"

Interview: Telecran (Jeff Karier)

Telecran: Herr Minister, wie geht es Luxemburgs Landwirten derzeit?

Claude Haagen: Die stark gestiegenen Energiepreise haben ihnen genauso zugesetzt wie allen anderen Wirtschaftssektoren. Egal, ob das nun Diesel, Gas, Benzin oder Strom ist, da gibt es keine Unterschiede. Deshalb wird vonseiten der Regierung aktuell analysiert, welche Hilfen wir den Landwirtschaftsbetrieben wenn nötig zur Verfügung stellen können. Dieser Sektor gehört ganz klar dazu. Es sind also nicht nur etwa industrielle Unternehmen, die in den Genuss dieser Hilfen kommen sollen.

Telecran: Die Sanktionen wirken sich leider nicht nur auf die Energiepreise aus...

Claude Haagen: In Russland können aufgrund der Sanktionen Lebensmittel wie Getreide nicht ausgeführt werden und in der Ukraine ist nicht nur der Export durch den Krieg gestört, sondern in weiten Teilendes Landes liegt die Landwirtschaft brach. Die dortigen Landwirte können ihre Felder nicht bestellen, dabei ist die Ukraine die Kornkammer Europas. Und Russland wiederum ist einer der Hauptproduzenten von Stickstoffdünger. 30 Prozent des Stickstoffdüngers für Europa stammen von dort.

Telecran: Also eine Situation, die uns noch lange Schwierigkeiten bereiten wird?

Claude Haagen: Auf jeden Fall. Denn auch wenn der Krieg, wie wir alle hoffen, schnell ein Ende findet, ist der Anbau etwa von Getreide nichts, das man einfach so wieder hochfahren kann. Es muss gepflanzt werden, Arbeitskräfte müssen da sein, die die Felder bewirtschaften und die Ernte einholen. Entsprechend ist es noch sehr fraglich, wie die Ernte in der Ukraine ausfallen wird.

Telecran: Ist die Lebensmittelversorgung in Luxemburg gesichert?

Claude Haagen: Ja, in Luxemburg wie auch in der gesamten Europäischen Union ist die Lebensmittelversorgung garantiert. Das ist mir wichtig zu betonen. Natürlich sind einige Bereiche der Landwirtschaft mehr von der aktuellen Situation betroffen als andere.

Telecran: Sorgenfalten auf die Stirn dürften den Landwirten auch die steigenden Preise für Dünger und Futtermittel treiben...

Claude Haagen: Die Preise etwa für Dünger, Energie oder Futtermittel waren bereits vor Ausbruch des Krieges sehr hoch. Und aufgrund der gestiegenen Preise wurde von den Betrieben weniger Düngerund Futtermittel bestellt, was wiederum zu weniger Aufträgen bei den Zulieferern und somit auch bei den Produzenten führte. Dadurch sind wir in einer Situation, in der die Lager zum Teil recht leer und damit die Reserven gering sind. Durch die Energiepreise und diese Faktoren kommt somit einiges zusammen. Entsprechend ist die sogenannte GAP, die Gemeinsame Agrarpolitik für alle Mitgliedstaaten der EU, sehr wichtig. Sie wurde 1962 eingeführt und dient unter anderem der sicheren Versorgung mit bezahlbaren Nahrungsmitteln. Vor Kurzem hat sich auch der Verkaufspreis für Schweinefleisch wieder erholt. Das ist gut für den Sektor, wo es wirklich Schwierigkeiten gab und wo wir als Landwirtschaftsministerium in zwei Phasen Hilfen im Rahmen der europäischen Vorgabenausbezahlt hatten.

Telecran: Könnten die steigenden Futtermittelpreise die Erholung des Preises für Schweinefleisch Ihrer Einschätzung nach wieder zunichte machen?

Claude Haagen: Es ist jedenfalls anzunehmen, dass als Folge des Ukraine-Krieges auch die Preise für Futtermittel steigen, da auch ein nicht unwesentlicher Teil des europäischen Tierfutters aus der Ukraine sowie aus Russland stammt. Indem Punkt planen wir auf europäischer Ebene Wege für entsprechende Hilfen zu finden. Auch wenn für Luxemburg gilt, dass ein Großteil des benötigten Tierfutters hierzulande angebaut wird, ist es dennoch eine Problematik, die alle EU-Mitglieder betrifft und die wir insofern gemeinsam angehen werden. So wurde von der EU-Kommission auch eine Experten-Gruppe eingesetzt, die analysieren soll, ob der Schweinefleisch-Sektor ein strukturelles oder konjunkturelles Problem hat. Dies ist wichtig, um die Planungssicherheit für die Bauern und jene, die in diesen Sektor investieren möchten, zu analysieren. Wir können nicht einen Sektor über drei, vier, fünf, sechs Jahre subventionieren, wenn keine Hoffnung mehr besteht.

Telecran: Wie sieht die Lebensmittelversorgung außerhalb der EU aus?

Claude Haagen: Für ärmere Länder, allen voran die Entwicklungsländer, könnte die Situation schwieriger werden, als sie es ohnehin schon ist. Ich denke da besonders an Afrika und an andere Teile der Welt. Kann die Bevölkerung kein Getreide mehr kaufen, da dieses zu teuer geworden ist oder nicht in ausreichender Menge verfügbar ist, könnte dies zu politischen Unruhen führen. Entsprechend müsste auf EU-Ebene entschieden werden, ob etwa verstärkt Importe von Getreide aus Ländern wie Brasilien oder Argentinien getätigt werden sollen, oder eben nicht, um die Situation zu beruhigen. Dies sollte dann auch nur übergangsweisesein. Wenn aber der Krieg länger anhält, wird diese Phase auch entsprechend länger anhalten. Besonders jene Länder, die bislang den Großteil ihres Getreides, speziell Weizen, aus der Ukraine oder auch Russland bezogen haben, stehen nun vor einem großen Problem. Im Schwarzen Meer liegen Schiffe mit Getreide aus Russland, die dieses aufgrund der Sanktionen jetzt nicht weitertransportieren können. Und die vier größten Seefrachtunternehmen haben ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland abgebrochen.

Telecran: Gehen Sie davon aus, dass es Länder geben wird, die gemäß der Wahrung nationaler Interessen ihre Grenzen schließen werden?

Claude Haagen: Dies darf mit Blick auf die Europäische Union nicht passieren. Ich wiederhole noch einmal: Die Lebensmittelversorgung ist in der gesamten EU gesichert. Ein solches Verhalten einiger Länder würde nur dafür sorgen, dass die Preise weiter angeheizt würden. Das werde ich daher auch auf EU-Ebene klar ansprechen.

Telecran: Wie schätzen Sie die Entwicklung des Düngerpreises ein?

Claude Haagen: Die Produktionskosten sowie der Verkaufspreis für Stickstoffdünger, der aus Gas hergestellt wird, sind angesichts des gestiegenen Gaspreises in den letzten Wochen ebenfalls in die Höhe geklettert. Da Russland einer der großen Produzenten dieses Düngers ist, der nun wegfällt, fehlt somit ein bedeutender Teil auf dem Weltmarkt. Nun gibt es Alternativen für synthetischen Dünger: Wirtschaftsdünger, also Gülle oder Mist. Letztere könnten den synthetischen Stickstoffdünger zum Teil ersetzen. Allerdings sollte man diesbezüglich die Emissionswerte im Blick behalten. Die in der GAP und den nationalen Plänen der Mitgliedstaaten festgelegten Strategien sollten jedoch trotz aller Entwicklungen jetzt nicht über den Haufen geworfen werden, wobei einige Elemente zeitweise ausgesetzt werden könnten.

Telecran: Meinen Sie damit Flächen, die im Rahmen des "Greening", des Erhalts von Grünland und der Einhaltung bestimmter Fruchtfolgen, ungenutzt sind und jetzt geöffnet werden könnten?

Claude Haagen: Ja, diese Möglichkeit wurde jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagen. Wir müssen auf luxemburgischer Ebene entscheiden, wie wir diese Maßnahme umsetzen werden. Das werden zwar nicht viele Flächen sein und dies ist auch nur eine punktuelle Maßnahme für das laufende Kulturjahr, allerdings sollte auch über die Auswirkungen dieses Schrittes diskutiert werden. Auch müssen wir schauen, was die anderen Mitgliedstaaten in diesem Bereich unternehmen werden. Deutschland hat dies bereits beschlossen, Frankreich geht vermutlich auch auf diesen Weg. Wichtig ist für mich, dass der Beruf schnell informiert wird. Schließlich muss zeitnah gesät werden. Und spätestens bis Juni muss die Landwirtschaft wissen, was wir im Herbst machen werden. Auch eine Beweidung dieser Flächen ist eine Option. Daran arbeiten wir aktuell im Ministerium und haben deshalb auch verschiedene Treffen, in denen die entsprechenden Punkte diskutiert werden.

Telecran: Käme für Sie in Frage, für eine bestimmte Zeit wieder stärker auf die konventionelle Landwirtschaft zu setzen, um mehr pro Fläche zu produzieren, was im Gegenzugweniger Bio-Landwirtschaft bedeuten würde?

Claude Haagen: Auch wenn wir uns aktuell in einer angespannten Situation befinden, sollte man jetzt nicht die konventionelle Landwirtschaft gegen die Bio-Landwirtschaft ausspielen. Das bringt hierzulande weder der einen noch der anderen Seite etwas. Das Hauptproblem sind die hohen Energiepreise und die betreffen beide Arten der Landwirtschaft gleichermaßen. Das Öffnen der Flächen, dass also mehr Fläche genutzt wird, ist ein Punkt, über den wir diskutieren müssten.

Telecran: Wie steht Luxemburg in puncto Getreideanbau denn da?

Claude Haagen: Gut, da wir 2021 einen Überschuss hatten, der exportiert wurde. Beim Anbau von Tierfuttermittel könnte jedoch nachgebessert werden. Hier sollte man verstärkt auf eiweißhaltige Futterpflanzen setzen, und zwar in der gesamten EU. Das ist eine Initiative von Österreich, der wir uns anschließen werden.

Telecran: Welche weiteren Entwicklungen und Auswirkungen erwarten Sie im Landwirtschaftssektor?

Claude Haagen: Vieles ist noch ungewiss, da die Lage in der Ukraine sich schnell ändern kann und die Langzeitfolgen des Krieges schwer abzuschätzen sind. Die Spekulation auf den Märkten, die bereits Einfluss auf die Getreidepreise hatten, wird weiterhin eine große Rolle spielen. Es wird sich allerdings die Frage stellen, ob in den nächsten Monaten und Jahren ausreichend Saatgut für jene Kulturen zur Verfügung steht, deren Anbau durch den Krieg beeinflusst ist. Schließlich kann es sein, dass es in der Ukraine weder dieses noch nächstes Jahr eine Ernte geben wird. Auch hier müsste man vielleicht auf Importe aus Drittstaaten zurückgreifen.

Telecran: Momentan ist eine langfristige Planung also erschwert?

Claude Haagen: Insgesamt wird es für Landwirte, weiterverarbeitende Betriebe und Händler sehr schwer sein, eine Langzeitplanung zu betreiben. So beziehen sich laufende Verträge noch auf die alten Preise. Angesichts der volatilen Preise werden neue Verträge eher nicht auf mehrere Jahre abgeschlossen werden. Um den Agrarsektor zu unterstützen, hat die Kommission im Agrarrat am 21. März zum ersten Mal den Zugriff auf die Krisenreserve im Rahmen der GAP vorgeschlagen. Auch wenn die damit zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, werden wir versuchen, diese Mittel so zielführend wie möglich einzusetzen.

Telecran: Was bedeutet das alles für den Verbraucher?

Claude Haagen: Angesichts der Preise für den Endverbraucher zeigt sich nun, dass die Einstellung "Geiz ist geil" unsinnig ist. Qualität gibt es nicht zum Niedrigpreis. Allerdings dürfen Produkte auch nicht zu teuer werden, ansonsten kauft niemand sie und der Produzent bleibt auf ihnen sitzen. Aktuell sehe ich jedoch keine allgemeinen, dramatischen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, auch wenn es in einigen Bereichen zu Preisspitzen kommen kann. Schließlich ist die Produktion abgesehen von Russland und der Ukraine gesichert.

Zum letzten Mal aktualisiert am