Interview von Fernand Etgen in der Revue

“Mehr Auflagen und weniger Geld”

Interview: Revue (Stefan Kunzmann)

Revue:  Herr Minister, der Agrarhaushalt der Europäischen Union, also das Budget der "Gemeinsamen Agrarpolitik" (GAP) soll deutlich gekürzt werden. Wo setzt der Rotstift an? 


Fernand Etgen: Die Kürzungen belaufen sich auf fünf Prozent. Das macht in der ersten Säule, was die Direktzahlungen betrifft, 3,8 Prozent aus, für die zweite Säule, die die nachhaltige Entwicklung bzw. die Agrarumweltmaßnahmen und die verschiedenen Programme beinhaltet, sind dies 15 Prozent. In der zweiten Säule hat Luxemburg sehr viel unternommen. Auf einen Euro, der aus Brüssel kommt, steuern wir vier Euro bei. Sie macht einen großen Teil des Einkommens der Landwirte aus. Im Prinzip begrüßen wir, dass die zwei Säulen bestehen bleiben sollen. Wir begrüßen auch, dass es mehr Kohärenz zwischen der ersten und zweiten Säule geben soll. Wir machen uns jedoch Sorgen darüber, dass die grüne "Baseline" erhöht wird, und befürchten, dass wir unsere Bauern nicht mehr genügend für ihre Umweltleistungen entschädigen können. Luxemburg gehört zu den Ländern, die in der Vergangenheit viel in diese Programme gesteckt und gute Resultate erzielt haben. Wenn dies nun aber zum Standard gehören soll, kann man die Landwirte nicht mehr dafür entschädigen. 

Revue:  Ihre Kritik am Vorschlag der Europäischen Kommission? 

Fernand Etgen: Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt, weil Luxemburg zu den Ländern gehört, die einen weitreichenden Maßnahmenkatalog bereitstellen, um die Landwirte für ihre Umweltleistungen zu entschädigen. Landwirtschaft und Umweltschutz gehören zusammen, wie der schleswig-holsteinische Landwirtschafts- und Umweltminister und deutsche Grünen-Vorsitzende Robert Habeck kürzlich bei seinem Besuch in Luxemburg betonte. In der Landwirtschaft gibt es sozusagen einen Markt für Umweltleistungen, und wir können die Bauern auf diesem Weg für diese Leistungen entschädigen. Wenn aber die Standards zu hoch sind, geht das nicht mehr so wie bisher. 

Revue:  Wenn die grüne "Baseline" erhöht wird, bedeutet dies mehr Auflagen für die Bauern? 

Fernand Etgen:  "Mehr Auflagen und weniger Geld" heißt dann das Grundprinzip. Was also einander diametral gegenübersteht. 

Revue:  Diese Kritik übt unter anderem auch die Bauernzentrale. 

Fernand Etgen: Die europäischen Bauern kritisieren schon länger, dass immer mehr von der GAP erwartet wird. 
Zunächst ging es um Einkommenssicherung, dann um den Umweltschutz und um das Erreichen der Klimaziele. Es geht darum, die Volatilität der Märkte abzufedern und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft zu erhalten. Aber die GAP muss auch auf Aspekte des Konsumentenschutzes eingehen und sicherstellen, dass sich die Generationen erneuern. 
Es wird viel von der GAP verlangt, um diesen großen Ambitionen gerecht zu werden. Wir brauchen allerdings ein Budget, das auf der Höhe der Erwartungen ist. Darum unterstützten wir, zusammen mit 20 anderen Ländern, auf dem letzten Ministerratstreffen die Initiative des französischen Agrarministers, dass die Mittel der GAP nicht gekürzt werden, sondern auf dem aktuellen Niveau bleiben. 

Revue:  Der Anteil der Landwirtschaft am gesamten EU-Budget beträgt etwa 34 Prozent. 

Fernand Etgen: Die Tendenz geht weiter nach unten. Mit dem aktuellen Vorschlag der Budgetreduzierung werden es weniger als 30 Prozent sein. Früher waren es 60 Prozent, anfangs der aktuellen Programmierungsperiode 39 Prozent. Im Spannungsfeld von immer mehr und größeren Aufgaben wie dem Schutz der Außengrenzen, der Flüchtlings- und der Kohäsionspolitik steht das Agrarbudget unter Druck. Gleichzeitig werden an die GAP noch mehr Anforderungen gestellt. Dabei darf man nicht vergessen, dass sie der erste wirklich funktionierende und integrierende Bereich der europäischen Politik ist. 

Revue:  Wie funktioniert das Subsidiaritätsprinzip? 

Fernand Etgen: Die übergeordneten Ziele werden auf europäischer Ebene festgelegt. Dann muss ein strategischer Plan von den einzelnen Ländern aufgestellt werden. Sie müssen zeigen, wie sie diese Ziele erreichen können. 
Als Ansatz begrüßen wir das, zweifeln aber daran, dass die angedachte administrative Vereinfachung nicht auf der Agenda steht. 

Revue:  Kommen also neue administrative Aufgaben auf die Landwirte zu? 

Fernand Etgen: Das ist zu befürchten. Der administrative Aufwand betrifft vor allem die kleinen Länder wie Luxemburg und ihre Verwaltungen. Es könnte zu einem reellen Ungleichgewicht zwischen steigenden Kosten zur Umsetzung der GAP und den sinkenden finanziellen Mitteln aus Brüssel kommen. 

Revue:  Stehen Sie zwischen EU-Agrarkommissar Phil Hogan und den Luxemburger Landwirten? 

Fernand Etgen: Als dieser vergangene Woche hier zu Gast war, hatten wir sehr konstruktive Gespräche. Die Bauern waren dem Ministerium dankbar, dass wir auf all die Probleme aufmerksam gemacht haben. Allerdings muss ich sagen, dass wir erst am Anfang eines Prozesses sind. Die schriftlichen Vorschläge der Kommission wurden gerade erst am 1. Juni publiziert.
Die Diskussionen auf politischer und technischer Ebene haben somit erst jetzt begonnen. Der Kommissar zeigte sich verständnisvoll und offen. Und er forderte uns auf, unsere Vorschläge zu machen, was uns als einem kleinen Land wichtig ist. Die Entscheidungen hat er jedoch nicht zu treffen. Sie werden ja im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens vom Rat der europäischen Minister zusammen mit dem Europaparlament ausgehandelt, wie das auch für die Reform von 2013 schon der Fall war. Im Prinzip ist Hogan ein Kommissar, mit dem gut zusammenzuarbeiten ist. Aber hier müssen wir nachbessern. Wir müssen dem besonderen Status der kleineren Länder Rechnung tragen, aber auch den Status der Umweltleistungen — damit diese Länder nicht dafür bestraft werden, dass sie schon vor Jahren begonnen haben, in diesem Bereich viel zu unternehmen. Es kann nicht sein, dass dieser nicht unwichtige Teil des Einkommens der Landwirte verloren geht. 

Revue:  Bis wann muss der Plan stehen? 

Fernand Etgen: Hogan äußerte den Wunsch, dass wir die Diskussion bis zu den Europawahlen im kommenden Jahr abgeschlossen haben. Ein frommer Wunsch, denn wir werden die Diskussion nicht abschließen, solange wir nicht das Gesamtbudget haben. Rückblickend betrachtet: 2011 wurden die ersten schriftlichen Vorschläge eingereicht, und es dauerte bis Ende 2013 bis zur Verabschiedung der europäischen Texte. In Betracht gezogen, dass das Europäische Parlament bis April 2019 funktioniert, ist es eine sehr sportliche Agenda, die der EU-Kommissar vorgelegt hat. 

Revue:  Wie Sie schon sagten, sollte die GAP zuerst vor allem vereinfacht werden. 

Fernand Etgen: Die Vereinfachung war ein großes Schlagwort auf europäischer Ebene. Das neue System stellt einen Paradigmenwechsel dar. Es wird weniger präzise Regeln zur Umsetzung auf der europäischen Ebene geben, hierfür wird den Mitgliedstaaten mehr Verantwortung übertragen. Das wird viele Diskussionen in den verschiedenen Ländern mit sich bringen. 
Das Europa der 27 Länder hat eine außerordentlich diversifizierte Landwirtschaft. Jedes Land funktioniert unterschiedlich. Vor allem auch das Monitoring dieser vielfältigen Politik wird ohne Zweifel kompliziert werden. 

Revue:  Wie können junge Menschen dazu motiviert werden, in die Landwirtschaft einzusteigen? 

Fernand Etgen: Das ist eine kruziale Frage. Es gibt relativ viele Maßnahmen, um junge Leute zu bewegen, Landwirte zu werden. Während der ersten fünf Jahre bekommen sie eine Hilfe von sechstausend Euro als Top-Up auf den Direktzahlungen. Der Vorschlag der Kommission sieht diesen einfachen Mechanismus übrigens nicht mehr vor, was wir sehr bedauern. Hier muss nachgebessert werden. Hinzu kommt eine sogenannte Erstinstallierungssprämie. Wenn ein Jungbauer anfängt, bekommt er diese einmalige Prämie von 70.000 Euro. Wir sind auf verschiedenen Ebenen aktiv. Ein Problem ist immer der Zugang zum Land. Wir haben verschiedene Initiativen ergriffen, zum Beispiel das Pachtgesetz dahingehend umgeändert, dass die aktiven Landwirte mehr Planungssicherheit bekommen. Zwei Drittel des bewirtschafteten Landes ist von Drittpersonen zugepachtet. Um die Diversität zu erhalten, brauchen wir Initiativen. 

Die Landwirtschaft ist ein Puzzle: Die einen wollen sich in der konventionellen Landwirtschaft engagieren, die anderen in der biologischen oder in der Solidarlandwirtschaft. 

Revue:  Wie sieht es mit der Letztgenannten aus? 

Fernand Etgen: Die ist im Kommen. Ihr Anteil ist zwar gering. Aber um die Wertschätzung der Lebensmittel aufrecht zu erhalten und eine bessere Akzeptanz zu schaffen, müssen wir die Solidarlandwirtschaft unterstützen. 
Zum Beispiel im Rahmen von Leader-Projekten, mit denen man innovative Systeme ausprobieren kann. 

Revue:  Und die Biolandwirtschaft? Einer der Schwerpunkte bei der Foire agricole, aber auch nach 30 Jahren immer noch eine Nische von etwas mehr als drei Prozent Anteil an der gesamten Landwirtschaft. 

Fernand Etgen: Ein Grund dafür ist sicherlich, weil wir viel im Bereich der Agrarumweltleistungen unternehmen — zum Beispiel haben wir über fünftausend Hektar unter Biodiversitätskontrakten, wo weder gedüngt noch gespritzt wird. Wenn wir nur diese Flächen, die einen Anteil von fünf bis sechs Prozent ausmachen, miteinbeziehen, was die Biobauern übrigens nicht gerne hören, wären wir über dem europäischen Durchschnitt. 
Hinzu kommen weitere Umweltprogramme. Was uns jetzt mit der neuen GAP zum Verhängnis werden könnte. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU könnte also auch kontraproduktiv für die Umwelt werden. Das müssen wir verhindern. 

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