"Mehrere Standbeine"

Interview von Romain Schneider in der Revue

Interview: Revue (Stefan Kunzmann)

 

Revue: Herr Minister, würden Sie heute einem jungen Menschen empfehlen, Landwirt zu werden?

Romain Schneider: Wenn er oder sie den Beruf gern hat, warum nicht? Die Berufe des Bauern, Winzers oder Gärtners sind äußerst interessante Berufe. Es bestehen viele Möglichkeiten, es gibt einen Markt und Nischen, die zu besetzen sind. Man arbeitet selbstständig und in der Natur. Grundsätzlich sollte ein Beruf Spaß machen. Das reicht aber alleine nicht aus. Man muss auch klären, ob es Planungssicherheit gibt und man das nicht nur als Hobby ausübt, sondern ob es mittel- bis langfristig die Existenz sichern kann. Diese Komponenten sollten stimmen. Der Staat hilft dabei mit Beratung und finanzieller Unterstützung.

Revue: Die meisten Jungbauern übernehmen den Betrieb von ihren Eltern. Richtige Quereinsteiger gibt es eher selten.

Romain Schneider: Das stimmt. Die Quereinsteiger sind häufig älter und solche, die zuvor einen anderen Beruf ausgeübt haben und jetzt etwas anderes machen wollen. In der Tat sind die meisten Jungbauern schon auf dem Hof ihrer Eltern und mit der Landwirtschaft groß geworden.

Revue: Es ist aber nicht selbstverständlich, dass die Nachkommen von Bauern den Hof übernehmen. Gibt es ein Nachwuchsproblem?

Romain Schneider: Richtig ist, dass die Zahl der Installierungen stabil ist und die der landwirtschaftlichen Betriebe seit längerer Zeit rückläufig ist, wenn auch nicht dramatisch, dass aber die Flächen mehr oder weniger auf demselben Niveau geblieben sind. Hierzulande werden immer noch ein bisschen mehr als 130.000 Hektar bewirtschaftet. Nicht jeder Bauer findet einen Nachfolger.  Manchmal übernimmt ein anderer Bauer, der seinen Betrieb vergrößern will, den Hof. Mitentscheidend ist, dass der Beruf für junge Leute interessant bleibt. Dazu gehört auch eine gute Ausbildung, um breit aufgestellt zu sein und dadurch viele Perspektiven zu erhalten.

Revue: Besteht ein Druck, den eigenen Betrieb zu vergrößern? Ein Wachstumsdruck?

Romain Schneider: Nehmen wir das Beispiel der Milchwirtschaft. Seit die Milchquoten weggefallen sind, hat sich der Markt geöffnet. Im Moment ist der Sektor rentabel. In ihm sind auch die großen Betriebe entstanden. Die Preise sind nicht übermäßig hoch, aber mit ungefähr 40 Cent pro Liter korrekt. Als ich 2009 erstmals als Landwirtschaftsminister antrat, lagen wir bei 20, 21' Cent. Was die anderen Produktionen angeht, wie Rindfleisch, Hähnchen, Eier, Gemüse und Obst, etc. haben wir in Luxemburg keine großen Betriebe. Aber auch unsere großen Milchviehbetriebe sind im Vergleich zum Ausland wie Dänemark oder die Niederlande klein. Uns geht es aber um die Diversifizierung der Landwirtschaft, sie auf mehrere Standbeine zu stellen, damit sie nicht zu sehr von den Fluktuationen des Marktes abhängt.

Revue: Die Bauernhöfe funktionieren in der Regel als Familienbetriebe. Personal einzustellen können sich viele Bauern nicht leisten. Ein Jobmotor sieht anders aus.

Romain Schneider: Selbstverständlich ist die Landwirtschaft auf die Hilfe von Familienangehörigen aufgebaut. Die etwas größeren Betriebe brauchen zusätzliches Personal, andere greifen auf den Service externer Dienstleister zurück, um verschiedene Arbeiten ausführen zu lassen. Zum Beispiel auf den Maschinenring (eine Vereinigung, in der sich Betriebe zusammenschließen, um Maschinen gemeinsam zu nutzen oder um Arbeitskräfte bei Überkapazitäten vermittelt zu bekommen, Anm. d. Red.). Ein Problem ist es aber auch, das richtige Personal zu finden.

Revue: Also gibt es einen Fachkräftemangel.

Romain Schneider: Ein Teil der Fachkräfte werden in der Ackerbauschule in Ettelbrück ausgebildet, doch manche sind gezwungen, im Ausland Personal zu suchen. Doch auch dort besteht ein Mangel an geeigneten Fachkräften. Umso schwieriger ist es. Ich begrüßte es, dass mit dem Gesetz, das auf den damaligen Arbeitsminister Nicolas Schmit auf den Weg brachte, die Arbeitsbedingungen gerade in der Landwirtschaft flexibler gemacht werden sollen. Diese sind eben anders als in einem Büro oder in einer Fabrik, wo mit Stechuhr gearbeitet wird. Wenn eine Kuh gemolken wird oder eine Kuh kalbt, muss man da sein. Das Schönste in dem Beruf ist zugleich auch das Schwierigste.

Revue: Was viele abschreckt. Sie haben die Formation angesprochen. Der Bauer von heute muss mehr unterschiedliche Kenntnisse haben. Das Berufsbild hat sich verändert. Viele Landwirte klagen über das Mehr an administrativer Arbeit.

Romain Schneider: Ich auch. Ich meine, nicht über meine Arbeit, sondern über die der Bauern. (lacht) Hier wird häufig über die administrative Vereinfachung gesprochen. Die Europäische Kommission hat das bis heute nicht verstanden. Es muss vereinfacht werden. Weil alles aber kompli2ierter wurde, haben wir hierzulande damit angefangen, dass der Flächenantrag elektronisch erledigt werden kann. Der Bauer soll administrativ so viel wie möglich entlastet werden. Der Bauer von heute ist nicht nur für die Lebensmittelproduktion verantwortlich, was für mich das Wichtigste ist, sondern er ist auch der Naturschützer Nummer eins, der Wasserschützer Nummer eins,... Viele Landwirte sind durchaus bereit, das zu machen, aber man muss sie dabei auch begleiten. Denn sie können nicht alles auf einmal. Ihre primäre Arbeit ist auf dem Terrain, darüber hinaus haben sie administrative Arbeiten zu bewältigen. Wir müssen hier mit den neuen Technologien ansetzen. Die Digitalisierung wird ihnen dabei helfen.

Revue: Stichwort Digitalisierung. Diese verlangt große Investitionen. Wie hilft dabei der Staat?

Romain Schneider: Im Rahmen des Agrargesetzes. In diesem Agrarprogramm wie auch im nächsten werden wir noch mehr diesbezüglich fördern. So stellt sich zum Beispiel die Frage, welche Maschinen gefördert werden sollen, um Spritzmittel zu ersetzen.

Revue: Was hat die Agrarreform bewirkt?

Romain Schneider: Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) 2013-2020 der Europäischen Union hatte das „Greening" als hauptsächliche Botschaft. In der Umsetzung war es jedoch zu kompliziert und mit hohem administrativen Aufwand verbunden. Auf nationaler Ebene haben ich und schließlich mein Nachfolger (Agrarminister Fernand Etgen von 2013 bis 2018, Anm. d. Red.) alles versucht, die GAP auf Luxemburg zu übertragen, indem wir zusätzliche nationale Gelder benutzten, um Biodiversitätsprojekte und Agrarumweltprojekte umzusetzen. Inzwischen haben wir über 60.000 Hektar, die unter eine solche Maßnahme fallen. Die Bauern haben auf freiwilliger Basis mitgewirkt. Damit machten wir gute Erfahrungen. Im Rahmen von der GAP hat das Greening hingegen versagt. Für die neue GAP, die spätestens im nächsten Jahr beschlossen werden soll und 2021 oder 2022 in Kraft tritt, gilt es, dies zu verbessern. Eine große Herausforderung.

Revue: Welche Unterstützung sieht die neue GAP für junge Bauern vor?

Romain Schneider: Die neue GAP wird uns erlauben, Fördergelder zu erhöhen und flexibler zu verteilen. An der Ausrichtung der GAP fordern wir die Beibehaltung der Flexibilität zwischen den beiden Säulen (Anm. d.Red.: den Direktzahlungen an Landwirte sowie gemeinsamen Marktordnungen für einzelne Agrarerzeugnisse als erste und die Entwicklung des ländlichen Raums als zweite Säule). Demnach könnten wir die Maßnahmen flexibler gestalten. In einem allgemeinen Rahmen wird jedes Land eine eigene nationale Strategie ausarbeiten, bezogen auf die jeweiligen Besonderheiten des Landes. Diese basiert auf einer detaillierten Analyse der Ist-Situation.

Revue: Obwohl das Herbizid Glyphosat verboten werden soll, setzen viele Landwirte auf diese chemische Keule. Wann ist Schluss damit?

Romain Schneider: Laut Regierungsprogramm soll ab 1. Januar 2021 kein Glyphosat mehr in Luxemburg eingesetzt werden. Wir arbeiten momentan an einem "Ausstiegsprogramm". Sowohl in der Forschung als auch im Maschinenbereich wird nach Alternativen gesucht. Im Moment findet man aber auf dem Markt noch keinen Ersatz für Glyphosat. Sicher ist, dass wenn wir die Felder nicht behandeln, haben wir einen Produktionsverlust. Das ist auf den Versuchsfelder bei Bettendorf gut zu erkennen. Einerseits die Felder, die mit Glyphosat behandelt wurden, andererseits die ohne.

Revue: Das Ziel von 20 Prozent der Fläche für Biolandwirtschaft ist ambitioniert. Wieviel sind es im Moment?

Romain Schneider: Ungefähr 4,6 bis 4,8 Prozent.

Revue: Da ist man aber noch weit vom Ziel entfernt.

Romain Schneider: Die Fläche ist eines. Das sagt nicht viel aus. Was zählt, sind die Produkte, die wir mittlerweile im Land haben und die es auf dem Markt gibt. Wir sind im Begriff, den neuen Aktionsplan für Biolandbau auszuarbeiten. Darüber wird im Juli im Parlament diskutiert, dann in einer offenen Runde. Dabei wollen wir einige innovativen Akzente setzen. Für mich ist klar: Die 20 Prozent sind ein Teil der mehr nachhaltigen Landwirtschaft in der Zukunft, aber auch die anderen 80 Prozent müssen mitziehen.

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